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Mittendrin und nicht dabei. Mit Depressionen leben lernen.
Von Ruedi Josuran, Verena Hoehne und Daniel Hell

Mittendrin und nicht dabei, so fühlen sich zwei schweizer Journalisten (die es gewohnt sind immer mittendrin zu sein) während ihren Depressionen. Wie in einer Talk-Show chatten die beiden locker und zwanglos in Briefform über ihre Krankheit, da sie ihr Coming-Out schon hinter sich gebracht haben: "Lieber Ruedi, viele Depressive erzählen, dass sie in einer Depression nicht mal mehr fähig sind, eine heiße Schokolade zu machen... Deine Verena". Die Briefe sind in verschiedenen Kapiteln gebündelt, die so sinnvolle Überschriften tragen wie "Medikamente", "Gefühle", "Der richtige Therapeut" oder auch "Ich bin nicht depressiv!" und "Reiß Dich doch zusammen". Hier wird wild darüber spekuliert, ob Depression vererblich oder angeboren ist und was das für moralische Konsequenzen hat. Und sogar bei der Aufarbeitung der Kindheit dürfen wir Verena über die Schulter schauen: "Mein großes Familiengeheimnis ist, das ich unehelich geboren bin." Auch kann man hier lernen, wie man seine Depressionen locker in sein Leben integrieren kann, neben Familie und dem Beruf, den man natürlich mit Verve ausfüllt, obwohl man ihn vielleicht gar nicht freiwillig gewählt hat. "Arbeit , so schein mir ... ist DAS Mittel gegen völliges absacken."

Obwohl Verena jahrelange Erfahrung auf der Suche nach Hilfe hat ("es ist geradezu beängstigend, wenn man sich so allmählich als ... Fachfrau in Sachen Depression vorkommt") und bereits über 40 Therapeuten und Gurus abgeklapperte, durfte doch ein Experte, Daniel Hell, Ärztlicher Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, die fachlichen Ausführungen beisteuern. Er erzählt in verständlichen Worten woher die Depression kommt und wohin sie führen kann.

Dieses niedrigschwellige Buch ist geeignet für Betroffene, aber auch für alle, die der Depression näher kommen wollen, und nach der Uni-Lektüre von Davison und Neale endlich wissen wollen, wie man sich den mit Depressionen wirklich fühlt und wie man damit umgehen kann. Durch den familiären Ton ist man gleich dabei, ich litt beim Lesen von Verenas Briefen am Ende sogar unter den - für den Umgang mit Depressiven typischen - Gefühlen der Gegenübertragung, Aggression und Genervtheit, angesichts ihrer besserwisserischen Art.

Alban Knecht
im Dezember 1999



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